Josef hält eine frisch gewaschene Windel in der Hand. Er trocknet sie. Schon im Mittelalter um 1420 herum hat ein süddeutscher Meister sich die Krippenszene so vorgestellt — mit Josef als Hausmann.
Das Gemälde hängt im Kunstmuseum Basel. Der flämische Maler Jan de Beer hat Josef in den Hintergrund gestellt, mit einer Laterne in der Hand. Er darf den Stall erleuchten. Josef bleibt Statist. Für die Weihnachtsgeschichte wird er nicht wirklich gebraucht.
Erst seit weibliche Gelehrte die Bibel feministisch auslegen, wächst das Interesse an Josef. Auf einmal wird er eine Hauptfigur — und zwar als der, der er vorher schon war: ein stiller, pflichtbewusster, schweigender Windelwechsler, der seiner Frau bei der Geburt nicht von der Seite weicht, der voller Überzeugung Verantwortung für ein ihm anvertrautes Kind übernimmt.
Bischöfin Margot Käßmann sah in Josef sogar einen modernen Vater, den man in Krippenspielen stärker in den Vordergrund rücken sollte. Ist es das, was Josef zum Gerechten macht — dass er tut, was man heute von einem Vater erwartet? Was meint der Evangelist Matthäus (1,19) damit, wenn er schreibt, dass Josef „gerecht“ gewesen sei?
Die Bibel beschreibt so nur wenige Menschen, Jesus zum Beispiel. Gerecht sein, das heißt in der Sprache der Bibel in erster Linie: nach den Geboten der Thora zu leben. Da seine Frau schwanger war, das Kind aber nicht von Josef stammen konnte, hätte er seine Verlobte eigentlich verlassen müssen. Die Schwangerschaft macht Maria zur Ehebrecherin. Hätte ja sein können, dass sie fremdgegangen war. Selbst als Opfer einer Vergewaltigung aber hätte Josef sie nach damaligen Maßstäben verstoßen müssen.
Die Weihnachtsgeschichte lässt uns an Josefs Gedanken teilhaben: Er entscheidet sich tatsächlich erst einmal dafür, Maria im Stillen zu verlassen, um möglichst viel Schaden von ihr und ihrer Familie abzuwenden (wie es heißt). Er will kein Aufsehen erregen, sonst könnte sie noch als Ehebrecherin gesteinigt werden.
Gerecht wäre Josef nach damaligem Verständnis auch dann gewesen, wenn er Maria und das Kind sich selbst überlassen hätte. So erklärt es Matthias Konradt, Professor für Neues Testament: Josef, so wie der Evangelist Matthäus ihn schildert, demonstriere mit seiner Barmherzigkeit gegenüber Maria ein tieferes Verständnis von Gerechtigkeit, eines, das sich am Gebot der Nächstenliebe orientiere. Gerecht sein, das hieße zwar weiterhin, nach den Gesetzen der Thora zu leben, dabei aber auch das biblische Liebesgebot (3. Mose 19,18) über alles zu stellen.
Die evangelische Theologin Charlotte Voß sieht es etwas anders. Nicht weil er dem Geist der Thora folge, bleibe Josef bei Maria und dem Kind, sondern weil er auf einen Engel hört, der ihm im Traum Gottes Willen verkündet: „Bleib!“ (Matthäus 1,20-23). Weil er so offen ist, seinen Sinn für Gerechtigkeit nicht an niedergeschriebene Gesetze zu binden, sondern an Gottes Willen. Und Gott fordere mehr von Josef als ein menschliches Maß an Barmherzigkeit.
Die Weihnachtsgeschichte bewertet aber nicht nur, wie sich der Privatmann Josef verhält. Sie spielt auch auf eine damals in Israel verbreitete politische Hoffnung an: Der mächtige Gott werde sein Volk von römischer Herrschaft befreien. Sie nimmt diese Hoffnung auf, kehrt aber viele Maßstäbe um. Gott kommt nicht stark und mächtig auf die Welt, sondern als schutzloses, armes Kind. Und Jesus — so stellt sich später heraus verkündigt ein Gottesreich ohne politische Revolution.
Nein, wir müssen Josef nicht dafür feiern, dass er die Geburt miterlebt und Windeln wäscht. Er ist auch kein Held nach den damaligen politischen Hoffnungen auf Gerechtigkeit. Josefs Gerechtigkeit verrückt die Maßstäbe für das, was die Menschen damals für gerecht hielten. Josef will, wie Matthias Konradt schreibt, der Geschichte gehorsam sein, wie Gott sie lenkt: Er akzeptiert, dass richtig und gerecht sein kann, was sein eigenes Ermessen und Wohl übersteigt, ihm sogar widerspricht. Deshalb ist Josef seinem Sohn Jesus nah. Und deshalb kann die Weihnachtsgeschichte nicht auf ihn verzichten.
Amelie Rüppel in chrismon 12/2022